Pierre Bismuth
Der in Belgien lebende Künstler Pierre Bismuth arbeitet häufig zu Fragen der Übersetzung. Da sind zum Beispiel jene seltsamen, haufenförmigen Skulpturen: die Fried Chicken Flavored Polyethylene. Sie wurden mit einer an einen Fleischwolf erinnernden Maschine hergestellt, die aus Produktionsketten der zerstörerischen Kunststoff-Industrie stammt. Ein solches Gerät, so die Autorin Dessislava Dimova, »transformiert eine ungewisse Form in eine andere ungewisse Form. Der Fleischwolf ist die Maschine der Formlosigkeit, der Möglichkeit, Fleisch in reine Materie zu verwandeln. Denn müssten wir uns reine Materie vergegenwärtigen – wie sähe sie aus? Was ist Materia, der Mutterstoff, wenn nicht Erde, der Lehm, aus dem der erste Mensch geschaffen wurde, ein Lehm, der schließlich Fleisch wurde?«. In diesem Fall ist das Ausgangsmaterial grobes Plastikgranulat. Dimova zitiert den Philosophen Roland Barthes: »So ist Plastik nicht nur eine Substanz, es ist die Idee ihrer unendlichen Transformation; es ist, wie sein gewöhnlicher Name sagt, die sichtbar gemachte Allgegenwart. […] Es ist weniger Objekt als Spur einer Bewegung.«¹ In den Zusammenhängen des Projektes erinnern diese Skulpturen auf den allerflüchtigsten Blick an Exkremente, als Dung auch der Stolz der Landwirte. Letztendlich ist dies tatsächlich Materie im Kreislauf der Landwirtschaft. In ihrer Formlosigkeit artikulieren die Objekte Bismuths auch eine Gegenposition zu den im globalen Kunstbetrieb üblichen spektakulären Schauwerten und spielen wiederum mit der Idee der abstrakten Skulptur.
Pierre Bismuths Werke bestechen nicht selten in schlichter Eleganz. Je nach einfließendem Erfahrungsreservoir und Kontext rufen sie die unterschiedlichsten, kunstimmanent philosophischen, alltäglichen wie populärkulturellen Kontexte auf. Es darf gelacht werden über Schafe, die sich auf rosa Grund darüber einig sind, dass das Klonen von Menschen abscheulich sei: Und man wird sich selbst – in dieser Spiegelung der Beziehung zwischen nichtmenschlichen und menschlichen Tieren – auf bittere Weise adressiert finden. I agree – The idea of cloning humans is disgusting heißt diese Arbeit. Wenn sich in dem deutsch-französischen Buch- und Wurstwarenladen, einem Kühlschrank und Concept Store anderer Art, ebendiese Buch- und Wurstwaren begegnen, entsteht – frei nach dem Dichter Lautréamont und seinen surrealistischen Erb:innen – eine ähnlich überraschende Schönheit wie in der Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem Seziertisch. Die Kritik und ihr Gegenstand sind nicht voneinander zu trennen.
¹ Dessislava Dimova, »Das Leben ist wahrscheinlich rund«, in: Pierre Bismuth, Things I Remember I Have Done, But Don’t Remember Why I Did Them – Towards a Catalogue Raisonné, Wien 2017, S. 6.
Biografie
*1963, Paris; lebt in Brüssel
• 1980–1982 Studium der freien Kunst an der École nationale supérieure des arts décoratifs, Paris, und 1983 an der Hochschule der Künste Berlin, Klasse Baselitz
A 2021 Tout le monde est artiste mais seul l’artiste le sait, Centre Pompidou, Paris und West Den Haag 2022 (E) (K); 8 flags, Nouveau Musée National de Monaco (E); Demokratie heute – Probleme der Repräsentation, Kindl, Berlin (K) • 2020 Museum for Preventive Imagination, MACRO, Rom • 2019 Animalesque Art – Across Species and Beings, BALTIC Centre for Contemporary Art, Gateshead • 2018 Hollywood and Other Myths, Tel Aviv Museum of Art, Tel Aviv (K) • 2017 Promotional Occurrences, LOK, Kunstmuseum, St. Gallen (E) • 2015 Der Kurator, der Psychoanalytiker und der Anwalt, Kunsthalle Wien (E)
P Things I remember I have done, but don’t remember why I did them – Towards a catalogue raisonné, Sternberg Press 2017 • Pierre Bismuth, Flammarion 2006 • Pierre Bismuth, Nouvelle création contemporaine, Paris 2005 • Tout ce qui n’est pas interdit est obligatoire, Thun 2005 • Pierre Bismuth, Pierre Bismuth, Pierre Bismuth, Toronto 2004