Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová
Was ist Geld? Welche Projektionen sind daran gebunden, wofür ist es tatsächlich »nützlich«? Darüber nachzudenken regen die Arbeiten von Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová an: Eine moldawische Frau, Mutter eines Jungen, arbeitet im Westen. Der Junge versteht ihre Abwesenheit nicht. Der Vater berichtet ihm von jenem fernen wunderbaren Land, in dem das Geld nur in die Erde gelegt werden müsse, um es vervielfacht zu ernten. Dort sei die Mutter jetzt. Sehnsucht nach ihr und die Hoffnung auf solche Wunder auch in der Heimat verführen den Jungen dazu, diese Methode der Geldmehrung in der heimatlichen Erde zu erproben: Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Angeregt von einer Zeitungsmeldung verfasste die Theaterautorin Nicoleta Esinencu ein Stück unter dem Titel when you’re adibas and you’re dreaming of becoming adidas (a theatre play for europe). Nun ist es von den Künstlerinnen Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová in Satzfragmenten niedergeschrieben auf 388 ordinären Fünf-Euro-Scheinen. Vor der Videokamera werden sie nach und nach aufeinandergelegt, bieten sich zum Lesen dar. Es ist, wie die Künstlerinnen schreiben, eine Geschichte über absurde Realitäten, die Psychologie des Geldes und die Abstraktheit der Idee von Wirtschaft, auf Geld erzählt.
Für ihre zweite hier gezeigte Arbeit, Things in Our Hands. objects casted from melted euro coins, wurden, wie der Titel bereits verrät, Euro-Stücke eingeschmolzen und zu etwa faustgroßen Skulpturen gegossen. Sie muten an wie urzeitliche, unbestimmte Werkzeuge oder postapokalyptische Einschmelzungen von Zivilisationsschrott. Spröde Handschmeichler, suggerieren sie Handeln, Tun, verlangen nach Berührung. Darin bilden sie formal wie gedanklich einen hochpoetischen Kontrast zu ihrem Ausgangsmaterial, dem kalten Abstraktum des Geldes in seiner industriellen Form und völlig nutzlosen Materialität.
In seiner Erscheinung aus Papier und Metall dient das Geld als direkter und physischer, wenn auch symbolischer Träger von Werten. Das Wesen des materiellen Geldes ist grundsätzlich zweigeteilt – es ist rein semiotisch und gleichzeitig ganz substanziell. Geld verkörpert eine wesentliche coincidentia oppositorum, einen Zusammenfall der Gegensätze; einerseits ist es eine bloße Repräsentation, die auf allgemeinem Einverständnis und Vertrauen beruht, wobei sein metaphysischer Wert durch das unablässige Zirkulieren eines abstrakten Wirtschaftssystems konstituiert und ratifiziert wird. Auf der anderen Seite existiert die materielle Währung ausschließlich in ihrer Körperlichkeit und ihrer verletzlichen Präsenz in der physischen Realität – sie kann in Händen gehalten, in Taschen vergessen, versteckt, gestohlen, beschädigt, verloren und gefälscht werden.
Bevor es das Konzept des Geldes gab, bestand der einzige Wert, den wir den Dingen beimaßen, darin, wie sie uns beim überleben helfen würden. Wert ist flüchtig und hängt von einer Vielzahl von Faktoren und Situationen ab, von denen die wichtigsten Knappheit und Nachfrage sind. Was Geld wertvoll macht, ist seine Seltenheit und Begehrtheit sowie die Tatsache, ob es für Sachwerte und Notwendigkeiten verwendet und gehandelt werden kann oder nicht. Geld mag heute diese Dinge wert sein, aber in apokalyptischen Zeiten oder in katastrophalen, existenziellen Situationen wird man damit nichts kaufen können.
In Abwesenheit von Handel und Preisen ist Geld, so wie wir es heute kennen, von keinem (oder nur sehr geringem) Nutzen. In einem Versuch, dem Material der Münzen einen höheren (und realen, praktischen) Wert zu verleihen, haben wir es zur Herstellung komplexer Objekte verwendet, die verschiedene Verwendungszwecke anregen können und darüber hinaus in schlimmen Zeiten die am meisten gewünschte Währung sein könnten: Werkzeuge zum überleben. Things in Our Hands ist eine Serie von Skulpturen aus geschmolzenen Euro-Münzen, die wie geheimnisvolle Werkzeuge, Waffen eines dunklen Kults oder nicht identifizierbare archäologische Funde aussehen. Die Abgüsse sind hart und zerbrechlich, spitz und rund, scharf und ergonomisch, pragmatisch und seltsam. Hier wird das Geld von seinem symbolischen Wert befreit und kann als Handaxt, als nützliches Überlebensmittel verwendet werden: zum Graben, Schneiden, Stechen, Spalten. ähnlich wie die Geschichte des Geldes selbst, zeichnen diese Skulpturen den Übergang vom Konkreten zum Abstrakten nach. Von Menschenhänden gemacht und deren Formen übernehmend, verkörpern sie die bittersüße Beziehung zwischen unseren Körpern und dem Geld, die Vergänglichkeit beider, und lassen ihr Ende erahnen. Things in Our Hands verkörpern den Zustand vor und nach der Existenz des Geldes in unserer Welt, sie materialisieren die beiden Endpunkte seines Werdegangs. Auf der einen Seite sind sie in der Vorgeschichte verwurzelt, in den Zeiten vor der Erfindung des Geldes, als die Zusammenarbeit noch vor dem Wettbewerb stand und das Eigentum die menschlichen Interaktionen nicht infizierte. Auf der anderen Seite prognostizieren sie die nach-apokalyptische Zukunft, in der Geld wertlos wird und nur noch als reine Materie zählen und verwendet werden kann. Things in Our Hands mögen wie Fossilien aus der Vergangenheit aussehen, aber in Wirklichkeit sind sie Vorboten von Fossilien aus der Zukunft. Der Wert ist eine Fiktion, die Materie ist real.
Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová
Biografien
Anetta Mona Chişa
*1975, Nădlac, RO; lebt in Prag
Lucia Tkáčová
*1977, Banska Stiavnica, SK; lebt in Athen
Zusammenarbeit seit 2000
A 2022 mixed up with others before we even begin, mumok, Wien (K); Empowerment, Kunstmuseum Wolfsburg (K); The Influencing Machine, Center for Contemporary Arts Zamek Ujazdowski, Warschau (K) • 2021 Before or After, ArtivistLab, Prag (E); Hinterm Nischel, Chemnitz Open Space, Kunstsammlungen Chemnitz; Football. Realism of the game, Floreasca Sports Hall, Bukarest; Intimacy and spectacle in the age of social media, Sofia Art Projects, Sofia • 2020 To Cast Too Bold A Shadow, The 8th Floor, New York City; Uneven Ground, Fotograf Festival, Prag; Floating Utopias, Lunds Konsthall, Lund; The Way We Are 2.0, Weserburg, Museum für moderne Kunst, Bremen • 2018 i aM an acuTe havoc, so i cAn‘t taLk, Calina Foundation, Timișoara (E); a no, A voLcanic attaCk, a hiT, a Muse, Museumcultuur Strombeek,Gent, Strombeek (E)
P Museum III 2.3, Gent 2020 • a Love Can atTack a sun. Ah atoMic I., Bratislava 2018 • n.b.k. Exhibitions Vol. 2 – Anetta Mona Chisa/Lucia Tkáčová, Köln 2009